Beschlussvorschlag:
Der Rat der
Stadt Bergkamen nimmt die Vorlage zur Kenntnis und beauftragt die Verwaltung,
weitere Konzepte mit dem Schwerpunkt „Bildung und Erziehung“ zu entwickeln, die
sich an der unterstützungsbedürftigen Bevölkerung orientieren und in denen die
bisherige Integrationsarbeit aufgeht.
Sachdarstellung:
1. Vorbemerkung
50 Jahre Zuwanderung nach
Deutschland hat ihre Spuren hinterlassen. Das spiegelt sich in
unterschiedlicher Ausprägung in jeder kommunalen Gemeinschaft wider, so auch in
Bergkamen. In dieser Stadt leben geschätzt 12.500 Menschen (ca. 25 %) aus
anderen Kulturkreisen, viele sogar seit Jahrzehnten.
Inzwischen wächst in vielen Familien die vierte Generation heran, deren beide
Elternteile in Deutschland geboren wurden. Für diese Generation greift schon
nicht mehr die gesetzliche Definition als „Menschen mit Migrationshintergrund“
(vergl. § 4 des Teilhabe- und Integrationsgesetzes NRW, s. Anlage 4).
Die Spuren der Zuwanderung zeigen sich im Stadtbild, in Wohngebieten, in
Schulen und Kindergärten, gewissermaßen überall im täglichen Leben. Die
bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft hat sich innerhalb weniger
Jahrzehnte unumkehrbar in eine multikulturelle, multiethnische, multireligiöse
Gesellschaft gewandelt. Dadurch ist die Existenz von Menschen aus anderen Kulturkreisen
selbst zu einer Alltäglichkeit geworden. Das ermöglicht einen Sichtwechsel, der
die Begriffe „Aufnahmegesellschaft“ und „Zuwanderergesellschaft“ überwindet.
Das Neue ist bereits real. Das bedeutet aber auch, dass die zugewanderten
Menschen nicht mehr als zu „bewirtschaftende“ Gruppe angesehen werden sollten,
sondern jedermann als Glied der nunmehr bunten kommunalen Gemeinschaft sein
Schicksal selbst bestimmen mag.
Diese Entwicklung veranlasst die Verwaltung zu einer Neubewertung der
Integrationsarbeit. Um hier gedanklich und politisch den Bogen zu schlagen vom
Bestand der bisherigen Integrationsaktivitäten bis hin zu einer
zukunftsorientierten Bildungsförderung, wird der Rat der Stadt Bergkamen um
Kenntnisnahme und Zustimmung zu dieser Vorlage gebeten.
2. Bestandslage
a) Das
Arbeitspapier zum Integrationskonzept (Phase 1)
Mitte 2010 beschloss der Rat der Stadt Bergkamen ein Arbeitspapier zum
Integrationskonzept mit dem Titel „Wege zum friedlichen Miteinander“. Parallel
dazu war ein Bildungskonzept zur „präventiven und integrativen Förderung von
Kindern im Alter von 0 – 6 Jahren“ unter Federführung des Jugendamtes und der
Stadtbibliothek entwickelt worden. Dieses Bildungskonzept war ebenfalls
Gegenstand eines Ratsbeschlusses. Mit der Vorlage und der Beschlussfassung zu
diesen beiden Konzeptpapieren wurde ein Klärungsprozess abgeschlossen, der als
„Phase 1“ bezeichnet wird.
Während für das Arbeitspapier Integrationskonzept mit den Handlungsfeldern 1
(Erziehung und Bildung) und 5 (Interkulturelle Kulturarbeit) eine zweite Phase
gestartet wurde, um umsetzungsfähige Maßnahmen zu konkretisieren, konnte das
Bildungskonzept in Teilen sofort bearbeitet werden, insbesondere durch
unterschiedliche Projekte in der Stadtbibliothek, die teilweise durch Landesmittel
gefördert wurden.
b) Der
Arbeits- und Diskussionsprozess (Phase 2)
Die Phase 2 zur
Weiterentwicklung des Arbeitspapiers Integrationskonzept war geprägt durch die
Einrichtung von ursprünglich drei, später zwei Arbeitskreisen und durch die Beteiligung
verschiedener Stellen, wie Jugendamt, Stadtbibliothek, RAA,
AWO-Migrationsdienste und Integrationsbüro.
In der fachlichen Diskussion wurden Ergebnisse entwickelt, die in einer
Übersicht vom 08.11.2011 zusammengeführt und dem Integrationsrat vorgestellt
wurden.
- Anlage 1 -
Die fachlichen Erkenntnisse förderten allerdings auch die Einsicht zu Tage,
dass einiges von dem, was wünschenswert ist, durch bereits laufende Angebote
abgedeckt ist. Hinzu kam für etwaige weitere Maßnahmen die Frage einer ungeklärten
Finanzierung angesichts der laufenden Haushaltssicherung.
Im Verlaufe der weiteren Erörterung waren Verfahrensfragen, Zuordnungsfragen
und organisatorische Aspekte zu klären. Insbesondere wurde klar, dass künftig
jede neue Maßnahme einer qualifizierten Wirksamkeitskontrolle (Evaluation)
unterworfen werden müsse, vorzugsweise mit wissenschaftlicher Begleitung durch
eine Universität. Dazu gab es bereits Sondierungsgespräche mit der
Fachhochschule Dortmund. Ferner stellte sich durch die vorliegenden
Informationen auch heraus, dass eine Bestands- und Bedarfserhebung aktualisiert
werden müsse. Um den gesamten Komplex steuern zu können, war daran gedacht,
eine spezielle Koordinierungsstelle einzurichten, die naturgemäß im
Integrationsbüro anzusiedeln wäre. Zu diesen Überlegungen verhält sich eine
Übersicht vom 09.05.2012 mit der Bezeichnung „Integrationskonzept
Weiterentwicklung“.
- Anlage 2 -
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Landesregierung das Projekt „Kein Kind
zurücklassen“ initiiert, sodass dies ebenfalls einfließen sollte.
c) Vorhandene
Strukturen und Angebote
Aufgrund des festgestellten
Aktualisierungsbedarfs wurde erneut recherchiert, um die gegenwärtigen Angebote
abbilden zu können. Eine Übersicht über die Angebote der unterschiedlichen Träger
und der Stadt Bergkamen mit Datum vom 11.10.2012 ist beigefügt.
- Anlage 3 -
Darin zeigt sich, dass eine Vielzahl von Angeboten für diverse Zielgruppen
vorhanden sind, darunter traditionell auch viele städtische.
d) Änderung
von Rahmenbedingungen (Teilhabe- und Integrationsgesetz u. a.)
Parallel zu den kommunalen
Bemühungen änderten sich zudem die Rahmenbedingungen. Von besonderer Bedeutung
für die Integrationsarbeit ist das neue „Gesetz zur Förderung der
gesellschaftlichen Teilhabe und Integration in Nordrhein-Westfalen und zur
Anpassung anderer gesetzlicher Vorschriften“ (Teilhabe- und Integrationsgesetz
NRW) vom 24.02.2012, das beigefügt zur Kenntnis gegeben wird.
- Anlage 4 -
Im Zusammenhang mit diesem Gesetz hat weiterhin die Bezirksregierung im März
2012 ein Integrationskonzept vorgelegt. Es trägt die Bezeichnung „Vielfalt in
der Region“. Auch der Kreis Unna ist nicht untätig geblieben und hat Mitte 2012
ein Integrationskonzept entwickelt, das auf der Grundlage des neuen Gesetzes
Verfahren und Inhalte zur Umwandlung der RAA in ein Kommunales
Integrationszentrum beschreibt (KiZ).
Die zitierten Regelungen verlangen eine Bewertung mit der Frage, ob die Inhalte
für die kommunale Integrationsarbeit berücksichtigt werden können.
-
Das Teilhabe-
und Integrationsgesetz beschreibt allgemeine politische Zielsetzungen, die
überwiegend als selbstverständlich einzuschätzen sind.
Bestimmte Regelungen sind naturgemäß migrationsspezifisch und fordern die
Adressaten des Gesetzes, also die Rechtsanwender, auf, besonderen Aspekten der
Menschen mit Migrationshintergrund Rechnung zu tragen, wie z. B. § 1 Nr. 4 und
6, § 2 Abs. 4, § 5 und § 8 Abs. 1. Diese Regelungen können durchaus auch
kritisch gesehen werden.
Aus § 1 Nr. 6 ergibt sich beispielsweise, dass die das Gesetz anwendenden
Stellen gehalten sind „die Organisationen der Menschen mit
Migrationshintergrund in demokratische Strukturen und Prozesse einzubinden und
zu fördern…“. Auf die kommunale Arbeit bezogen stellt sich die Frage, wie man
sich derartige Prozesse vorstellen soll, etwa beim Umgang mit islamistischen
Gruppierungen.
In § 2 Abs. 4 ist zu lesen: „Integrationsspezifische Entscheidungen und
konzeptionelle Entwicklungen sollen den verschiedenen Lebenssituationen der
Menschen mit Mitgrationshintergrund Rechnung tragen.“ Was bedeutet das konkret
und praktisch für die örtliche Arbeit? Was sind intergrationsspezifische
Entscheidungen und wer trifft sie? Was ist mit den Lebenssituationen gemeint?
Wer soll diesen Rechnung tragen? Es dürfte schwierig sein, derartige
gesetzliche Vorstellungen in der konkreten Arbeit zu erfassen oder zu
berücksichtigen.
§ 3 Abs. 2 formuliert: „Art und Umfang der Unterstützung der Teilhabe und
Integration berücksichtigen insbesondere den Bedarf der Menschen mit
Migrationshintergrund…“. Wer definiert den Bedarf – die Betroffenen selbst?
Welche Stelle soll diesen „Bedarf“ dann bei der Arbeit berücksichtigen, was
wird das alles bewirken? Auch hier also eine unklare Lage.
Aus diesen und einer Vielzahl weiterer Regelungen leuchtet indes die Intention
des Gesetzgebers durch, dass Menschen mit Migrationshintergrund
„Benachteiligte“, von der Aufnahmegesellschaft nicht Angenommene sind, die
einer besonderen Zuwendung in allen Lebenslagen bedürfen, von der Geburt über
das Berufsleben bis zum Tod. Zugleich sind die Stellen, die das Gesetz anwenden
sollen, allgemein gesagt gehalten, die gesetzlich unterstellte Benachteiligung
zu beseitigen. Dies ist genau die (problematische) Sichtweise, die die in der
Vorbemerkung erwähnte „Bewirtschaftung“ einer bestimmten gesellschaftlichen
Gruppe durch staatliche und andere Träger auslösen soll. Dabei erwähnt das
Gesetz Menschen mit Migrationshintergrund allgemein und pauschalierend. Es
fehlt an der Erkenntnis, dass die Lebenswirklichkeit längst einen
gesellschaftlichen Status hervorgebracht hat, der es nicht mehr erlaubt, von
DEN Menschen mit Migrationshintergrund in dieser verallgemeinernden Form zu
sprechen.
Völlig außer Betracht bleibt im Gesetz die Sicht der „anderen Seite“. Wollen
die (im gesetzlichen Sinne) Menschen mit Migrationshintergrund kollektiv oder
individuell oder mehrheitlich überhaupt eine Integrationsarbeit mit ihnen als
Zielgruppe? Die Erfahrungen vor Ort sprechen eher dagegen. Sehr viele
Zugewanderte wollen sich nicht mehr einer Gruppe zugeordnet wissen, der man
etwas angedeihen lassen kann. Sie wollen einfach ihr Leben in einer
vielschichtigen Gesellschaft wahrnehmen und erwarten, dass Staat und
Bürgerschaft sie so respektieren wie sie sind.
Im Gesetz spielt auch der eigentlich zentrale Punkt für eine gelingende
Integration praktisch keine Rolle, nämlich die Eigenanstrengung der Menschen
mit Migrationshintergrund einschließlich einer positiven Grundhaltung und
aktiven Hinwendung zu Staat und Gesellschaft. Lediglich in § 2 Abs. 2 und 3
wird dieser Aspekt gestreift, allerdings nur auf Anerkennung der Grundwerte und
Engagement beim Spracherwerb beschränkt. Solange dieser grundlegende Aspekt
weitgehend ausgeblendet wird, steht der Erfolg aller einseitigen
administrativen Bemühungen in Frage.
Zusammengefasst lässt sich angesichts einer fragwürdigen und letztlich
überholten Grundkonzeption aus dem neuen Gesetz wenig an Substantiellem für die
kommunale Integrationsarbeit ableiten.
-
Eine Ausnahme
zu dieser Einschätzung bilden die Regelungen in § 7 des Teilhabe- und
Integrationsgesetzes NRW sowie das Integrationskonzept des Kreises Unna. Dieses
vom Kreistag beschlossene Konzept war erforderlich, um die Umwandlung der RAA
in das gesetzlich definierte „Kommunale Integrationszentrum“ (KIZ) zu
ermöglichen. Die Überleitung ist inzwischen erfolgt, der Kreis hat die
Einrichtung KIKU, Kommunales Integrationszentrum Kreis Unna genannt. Das
Kreiskonzept liegt an.
- Anlage 5 -
Die Besonderheit besteht darin, dass die Kommunalen Integrationszentren in § 7
des Gesetzes mit Aufgaben versehen sind, die die Integrationsarbeit im
Bildungsbereich fördern können. Es geht dabei darum, die Bildungschancen von
Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu verbessern. Dabei treten
die Kommunalen Integrationszentren als Fachstellen auf, die die Multiplikatoren
in Kindertageseinrichtungen, Schulen usw. mit dem notwendigen Sachwissen
unterstützen können. Das KIZ hat insoweit auch eine steuernde und
koordinierende Funktion.
Die Aufgabenstellung für die kommunalen Integrationszentren und die fachliche
Ausstattung mit dem Schwerpunkt „Bildung für Kinder und Jugendliche“ liegt auf
der Linie der Zielsetzung für die Stadt Bergkamen. Sie kann daher ausdrücklich
begrüßt werden.
-
Das
Integrationskonzept der Bezirksregierung bedarf an dieser Stelle keiner
vertieften Erörterung, weil die kommunale Arbeit nicht unmittelbar betroffen
ist.
e) Klassische
Integrationsarbeit im Lichte gesellschaftlicher Prozesse
Neben den internen Debatten
und einer administrativen Änderung des Arbeitsrahmens sind bereits
angesprochene gesellschaftliche Prozesse zu registrieren, die die
Integrationsarbeit inzwischen in einem anderen Lichte erscheinen lassen.
Die „klassische“ Integrationsarbeit geht davon aus, dass Zugewanderte nach
wie vor wegen tatsächlicher oder unterstellter Defizite staatliche bzw.
gesellschaftliche Unterstützung benötigen. Das wird, wie gezeigt, in der
Grundkonzeption des Teilhabe- und Integrationskonzeptes NRW besonders deutlich.
Der Staat sieht sich einseitig in der Verantwortung für eine gelingende
Integration. Förderprogramme sind im Allgemeinen darauf zugeschnitten. Es ist
in den letzten 20 bis 30 Jahren eine regelrechte „Förderindustrie“ entstanden,
in deren Maßnahmen vermutlich hunderte von Millionen Euro aufgewandt wurden.
Konkrete Ergebnisse im Sinne einer Verbesserung der Integrationslage können
kaum festgestellt werden. Verwendungsnachweise ersetzen nach wie vor die
Wirksamkeitsprüfung.
Im Gegensatz zu den ursprünglichen Erwartungen kann heute zum Beispiel
festgestellt werden, dass die schulischen Lernerfolge von Migrantenkindern auf
niedrigem Niveau verharren, dass Ausbildungs- und Arbeitsmarkt relativ schwer
zugänglich für Migranten sind, dass ein Teil der türkischen
Zuwanderungsgemeinschaft verstärkt desintegrative nationale und religiöse
Besonderheiten pflegt, dass der Islam durch die laufende Debatte im säkularen
Staat einen völlig unangemessenen Stellenwert erlangt hat und dass schließlich
in Berlin unter Führung des Innenministeriums in diesen Tagen sogar eine
richtungsweisende Konferenz zur „Muslimfeindlichkeit in Deutschland“
stattfindet.
Parallel hierzu laufen die demografischen Prozesse, durch die der
Bevölkerungsanteil der Menschen aus den nicht oder schlecht integrierten
Gruppen weiter zunimmt. In Kindergärten und Schulen zeigt sich dies zahlenmäßig
in besonderem Maße.
Dem gegenüber steht eine steigende Anzahl von Menschen mit
Migrationshintergrund, die eine gesellschaftliche und auch politische Teilhabe
erreichen konnten. Es handelt sich indes noch um eine Minderheit. Ihr
Vorhandensein erlaubt eher einen Schluss im Sinne von Regel und Ausnahme: wer
die innere Bereitschaft hat und sich selbst bemüht, der hat eine gute Chance
auf eine erfolgreiche Eingliederung in das gesellschaftliche Gefüge.
In der Bilanz aber hat die „klassische“ Integrationsarbeit nicht den Erfolg
gebracht, der mit ihrem Zweck verbunden war. Die Gesellschaft ist in diesem
Punkte nicht weiter als vor 20 Jahren. Es fehlte und fehlt an einem Reiseziel
und an einem Reiseweg. Vor allem fehlt es an der Vision, wie sich die
Gesellschaft in 20 – 30 Jahren verändert haben wird und ob die voraussichtliche
Entwicklung politisch gewollt ist oder nicht. Erst daraus ließen sich seriöse
Steuerungsmaßnahmen ableiten.
3. Neuorientierung
Ausgehend von den vorherigen
Einschätzungen sollte die „klassische“ Integrationsarbeit eingeschränkt oder
nicht weiter verfolgt werden. Diese lässt sich anschaulich charakterisieren,
indem man die Aufnahmegesellschaft als aktiven Teil auf der einen Seite sieht
und die (heterogene) Zuwanderergesellschaft trotz all ihrer Facetten als zu
bearbeitenden Block auf der anderen Seite, also als Gruppe der Aufzunehmenden,
ganz entsprechend der Sichtweise des Teilhabe- und Integrationsgesetzes NRW.
- Anlage 6 -
Tatsächlich haben die realen Lebensverhältnisse und auch das Bewusstsein der
verschiedenen Gruppen das herkömmliche Bild in den zurückliegenden Jahren
überholt.
In der Realität, gerade auch in der kommunalen Wirklichkeit, leben die
Menschen unterschiedlicher Herkunft in einer bunten Vielfalt nebeneinander,
manchmal auch miteinander. Die vierte Zuwanderergeneration drängt nach. Die
Begegnung mit dem einstmals „Fremden“ ist zur Alltäglichkeit geworden, in
Kindergarten und Schule, im Betrieb, im Geschäft und auf der Straße.
Es macht keinen Sinn mehr, Menschen nach Herkunft zu kategorisieren und
Schlussfolgerungen für den Umgang daraus zu ziehen. Es hat auch jeden Zweck
verloren, solche Menschen aus der (überholten) Sicht der Aufnahmegesellschaft
etwa als Menschen mit Migrationshintergrund zu definieren, weil dies mit der
Zuordnung von Eigenschaften verbunden ist, die das Anderssein markieren.
Die bisherige Handhabung führt bis hin zu einem „positiven Rassismus“
(Beispiel: Der Lehrer sagt zur in Deutschland geborenen Schülerin der 12.
Klasse, Leistungskurs Deutsch: “Dein Opa kommt aus Anatolien, dafür sprichst du
aber wirklich gut deutsch!“). Das heißt nicht, dass es im Alltäglichen keine
Konflikte gäbe. Diese werden aber nicht überwunden, wenn die handelnden
Personen immer wieder auf ihre Herkunft reduziert werden.
Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass die allermeisten Menschen aus
den Familien der Zugewanderten in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben,
die sie nicht mehr verlassen werden. Diese Menschen suchen für sich und ihre
Kinder das Beste, wenn auch mit unterschiedlichen individuellen Möglichkeiten
und Lebensentwürfen. Sie wollen auch keine Sonderbehandlung mehr wegen ihrer
Herkunft, sondern am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilhaben. Über
Extremisten, Islamisten, Salafisten, Neonazis und dergleichen braucht man an
dieser Stelle nicht zu reden. Sie repräsentieren nicht den sogenannten
Durchschnittsbürger.
Wir haben es aufgrund der seit 50 Jahren andauernden Zuwanderung in einem
unumkehrbaren Prozess schlicht mit der Entstehung einer neuen pluralen
Gesellschaft zu tun. Die alte deutsche Gesellschaft mit ihren relativ stabilen
Werten gibt es nicht mehr. Durch die demografische Anteilsverschiebung wird das
Neue in 10 bis 20 Jahren noch mehr Raum eingenommen haben.
In dieser historischen Phase sollte anerkannt werden, dass alle Menschen
der kommunalen Gemeinschaft unterschiedliche Teile des Ganzen sind. Die
Abgrenzung in Deutsche und Zugewanderte beginnt sich aufzulösen. Die Grenzen
verlaufen inzwischen an anderer Stelle, z.B. zwischen gebildet und
bildungsfern, Arbeit habend und arbeitslos, reich und arm, und zwar durch alle
ethnischen Gruppen hindurch.
Genau hier soll die Neuorientierung ansetzen. Eine zukunftsfähige kommunale
Integrationsarbeit muss sich an den übergreifenden sozialen Problemen
orientieren und darf die Bemühungen nicht mehr an der Herkunft der Menschen
festmachen. Angesichts der realen Verhältnisse, die oben beschrieben worden
sind, und angesichts der realistischen Möglichkeiten einer kommunalen
Integrationsarbeit muss ein Schwerpunkt gesetzt werden, durch den auch eine
neue Zielgruppe erfasst wird. Die Verwaltung ist zu der Auffassung gelangt,
dass ein solcher Schwerpunkt im Wesentlichen in der Förderung von Erziehung und
Bildung für Kinder und Jugendliche liegen muss.
Die kommunale Gemeinschaft wird danach nicht mehr in Aufnahmegesellschaft und
Zuwanderungsgesellschaft unterteilt. Vielmehr ist eine neue Grenze, die der
„Bildungsarmut“ zu definieren, die gewissermaßen als Längsschnitt durch die
ethnischen und sonstigen Gruppierungen läuft. Darüber verhält sich das
Schaubild auf der beigefügten Anlage.
- Anlage 7 -
Dort wird deutlich, dass die Ressourcen von Politik und Verwaltung, Trägern
usw. darauf gerichtet werden sollen, die Bildungssituation der Menschen zu
verbessern, gleich welche Herkunft sie haben. Derartige Bemühungen beginnen
selbstverständlich bei der Elternbildung, der frühkindlichen Erziehung, der
Bildungsvermittlung in den Kindertagesstätten und laufen bis in den
Schulbereich. Es wird darum gehen, einzelne Maßnahmen zu definieren, sie
dauerhaft anzulegen, zu evaluieren und zu finanzieren. Auf diesem Wege soll dem
jetzigen und künftigen Nachwuchs eine Verbesserung der individuellen Chancen
vermittelt werden, um, anders als jetzt, im schulischen und beruflichen Bereich
sowie perspektivisch im Rahmen einer gesellschaftlichen Teilhabe respektierte
Mitglieder der Gemeinschaft sein zu können.
Das bedeutet,
dass der
Integrationsbegriff sich nicht mehr nur an Menschen mit Migrationshintergrund
orientiert,
dass die
Aufgaben zur Unterstützung einer „Zielgruppe Bildungsförderung“ gemeinsam neu
beschrieben werden müssen,
dass eine
erweiterte Kooperation mit Integrationsbüro, Jugendamt, Kulturreferat, Trägern
der Kindertagesstätten, Schulen und anderen Bildungsträgern zielorientiert
eingeleitet wird,
dass ein auf
Dauer angelegtes evaluierbares Fördersystem unter städtischer Koordinierung
angelegt wird.
Die bisherigen Bemühungen (siehe z. B. Anlage 3) mögen
selbstverständlich weiterlaufen, bis sie ihren Zweck erfüllt haben oder in die
neue Struktur eingegliedert sind.
Bestandteile dieser Vorlage sind:
1.
Das Deckblatt
2.
Der Beschlussvorschlag und die Sachdarstellung
3. 7
Anlagen
Der
Bürgermeister In
Vertretung Wenske Beigeordneter |
|
Amtsleiter Vögeding |
Sachbearbeiterin Siebert |
|