Betreff
"Arbeitskreis Demokratie"
Vorlage
10/1239
Aktenzeichen
we-sz
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag:

 

 

1.        Der Rat der Stadt Bergkamen beschließt, den am 27.09./09.11.2000 eingerichteten „Arbeitskreis gegen Rechts“ in „Arbeitskreis Demokratie“ umzubenennen und ihn für seine Arbeit mit einem Ratsmandat auszustatten.

Mitglieder des Arbeitskreises sind Vertreter gesellschaftlich relevanter Gruppen aus der Stadt Bergkamen.

Der Vorsitz und der stellvertretende Vorsitz werden durch vom Rat gewählte Stadtverordnete wahrgenommen.

Die Geschäftsführung obliegt dem Leiter der „Infostelle Rechtsextremismus“, die im Jugendamt angesiedelt ist.

2.        Der Arbeitskreis Demokratie tagt zweimal im Jahr sowie bei Bedarf. Er berichtet dem Rat einmal jährlich über seine Arbeit.

3.        Der Rat wählt

a)      zum/zur Vorsitzenden des Arbeitskreises Demokratie Herrn/Frau Stadtverordnete(n) …

 

b)      zum/zur stellvertretenden Vorsitzenden des Arbeitskreises Demokratie Herrn/Frau Stadtverordnete(n) …

 

 

Sachdarstellung:

 

Mit dieser Vorlage greift die Verwaltung eine langjährige Entwicklung rechtsextremer Aktivitäten und des demokratischen Widerstandes in der Stadt auf. Zum einen geht es um die Neuorientierung der Arbeit zum Thema „Politischer Extremismus“ und zum anderen um die Frage der Organisation und Anbindung dieser Arbeit an Rat und Verwaltung. Dabei wird an das Interfraktionelle Gespräch am 25.02.2013 angeknüpft, in dem Einvernehmen bestand, dem bisherigen „Arbeitskreis gegen Rechts“ eine verbindliche politische Legitimation durch einen entsprechenden Ratsbeschluss zu geben und den Arbeitskreis mit einer neuen Bezeichnung zu versehen, die den politischen Extremismus im Allgemeinen erfasst.

 

Vor diesem Hintergrund wird vorgeschlagen, den Arbeitskreis nunmehr „Arbeitskreis Demokratie“ zu nennen. Die bisher in der Diskussion erörterte Möglichkeit, die Bezeichnung „Arbeitskreis für Demokratie“ zu wählen, erscheint etwas weniger prägnant, sodass die Verwaltung die einfachste Fassung favorisiert.

 

1.       Rückblick

Der Kampf gegen den Rechtsextremismus hat in Bergkamen Tradition. Die Industrialisierung der Region, die sich in Bergkamen seit Ende des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen durch die Entwicklung des Bergbaus manifestierte, brachte eine Bevölkerung und Arbeiterschaft mit einer weitgehend gewerkschaftlichen Orientierung hervor, die schon immer allen faschistischen und später rechtsextremen Bestrebungen entgegen trat.

In der jüngeren Zeit gelang es keiner Partei aus dem extrem rechten Spektrum, wie NPD, DVU und Republikanern, in dieser Stadt bei Wahlen Fuß zu fassen. Die Bürgerschaft pflegt eine demokratische und soziale Haltung, die sich dementsprechend bei Wahlen widerspiegelt. Eingebunden sind alle demokratischen Parteien dieser Stadt.

Daher ist es als selbstverständlich anzusehen, dass die demokratischen Parteien immer mit öffentlichem Widerstand zur Stelle waren, wenn rechtsextreme oder faschistisch orientierte Gruppierungen irgendwelche Aktionen durchführten. So z. B. Ende der 1990er Jahre, als zu beklagen war, dass sich viele junge Menschen rechtsextremen Strömungen zuwandten.

Als Reaktion richtete die Verwaltung ab September 2000 eine „Infostelle Rechtsextremismus“ im Jugendamt ein. Diese wurde mit der Aufgabe betraut, die Szene zu beobachten und zu analysieren, um im Bedarfsfall handlungsfähig zu sein. Ferner, um Jugendliche, Eltern oder Institutionen qualifiziert beraten zu können.

Parallel dazu und im Einvernehmen mit der Politik berief die Verwaltung außerdem für den 27.09.2000 eine „Konferenz gegen Rechts“ ein, zu der alle politischen Vertreter der Stadt und die Bevölkerung eingeladen waren. Die Nachfrage war außerordentlich, sodass der große Saal im Treffpunkt kaum reichte. Seinerzeit wurden viele Fragen diskutiert, viele blieben aber auch offen. Unter diesen Umständen entstand aus der Versammlung heraus der spontane Wunsch, jene offenen Fragen und weitere Probleme in einem zu installierenden „Arbeitskreis gegen Rechts“ zu bearbeiten und dazu die gesellschaftlich relevanten Gruppen einzuladen.

Bereits am 09.11.2000 fand die erste Sitzung des „Arbeitskreises gegen Rechts“ unter Federführung der Verwaltung und unter Leitung des Beigeordneten Bernd Wenske statt.

In den folgenden 12 Jahren kam es zu einer Vielzahl von Sitzungen des Arbeitskreises, die regelmäßig bedarfsbezogen stattfanden. Ebenso wurde eine Reihe von Aktionen und Veranstaltungen durchgeführt, wie etwa „Bergkamen - bunt statt braun“.

So konnte sich der „Arbeitskreis gegen Rechts“ immer als ein Forum verstehen, in dem die politische Entwicklung des Rechtsextremismus vorgestellt und erörtert wurde und aus dem im Bedarfsfalle öffentliche Aktionen erwuchsen.

Somit verfügt die Stadt Bergkamen mit dem politisch orientierten Arbeitskreis und der „Infostelle Rechtsextremismus“ über zwei Institutionen, die die politische Entwicklung und die Strukturen des Rechtsextremismus qualifiziert bewerten und Schlüsse daraus ziehen können. Dieser Status soll mit dem jetzt angestrebten Ratsbeschluss weiter verstärkt werden.

2.       Veränderung der Lage Ende 2012/Anfang 2013

Am 08.12.2012 und am 12.01.2013 kam es zu zwei größeren Demonstrationen der Bergkamener Demokraten gegen den Rechtsextremismus. Auf dem Herbert-Wehner-Platz versammelten sich jeweils 200 – 300 Personen, um sich für die Demokratie einzusetzen und offen gegen rechtsextreme Aktivitäten Flagge zu zeigen.

Vorausgegangen war zunächst am 20.11.2012 eine einfache Information der Polizeiwache Bergkamen an die Verwaltung, dass am 08.12.2012 ein Aufmarsch der rechten Szene, Personenzahl unbekannt, vom Busbahnhof bis zum Herbert-Wehner-Platz mit dortiger Kundgebung und Rückmarsch geplant sei. Die Kreispolizeibehörde als für das Versammlungsrecht zuständige Stelle hatte zu prüfen, ob andere Veranstaltungen stattfinden, die evtl. mit dem Aufmarsch der Rechtsextremen kollidieren könnten.

Durch diese Anfrage war sofort klar, dass mit einem solchen Aufmarsch eine neue Eskalationsstufe in Bergkamen erreicht werden würde. Eine derartige Aktion mit Kundgebung gab es in den letzten Jahrzehnten nicht.

Die Verwaltung konnte der Polizeibehörde mitteilen, dass der Herbert-Wehner-Platz durch den Samstagsmarkt und ein anschließendes Adventssingen belegt sei. Daraufhin erhielt der Anmelder des Aufmarsches seitens der Polizei lediglich eine Genehmigung eines Marsches vom Busbahnhof bis zum Marktplatz an der Ebertstraße. Zugleich informierte der Leiter des Arbeitskreises gegen Rechts alle Mitglieder des Arbeitskreises und alle sonstigen gesellschaftlichen Gruppierungen bis hin zu den Schulen, dass ein Neonazi-Aufmarsch in Form einer „Demonstration gegen Kinderschänder“ geplant sei. Dies führte nun zu einer überwältigenden Mobilisierung der Bergkamener Demokraten, sodass das Adventssingen am 08.12.2012 zu einer Kundgebung für Frieden und Demokratie umfunktioniert werden konnte. Dies alles fand statt, obwohl der Anmelder den Aufmarsch der Rechten einen Tag zuvor abgesagt hatte.

Vergleichbares wiederholte sich einige Wochen später am 12.01.2013. Auch hier wurde für diesen Tag ein Aufmarsch nach dem gleichen Muster wie zuvor angemeldet. Der Herbert-Wehner-Platz konnte auch dieses Mal nicht zur Verfügung stehen, weil die örtlichen Gewerkschaften eine Informationsveranstaltung durchführten. Obwohl die Neonazi-Demonstration erneut kurzfristig vorher abgesagt wurde, führte der Arbeitskreis gegen Rechts im Einvernehmen mit den Gewerkschaften eine eigene Veranstaltung gegen Rechtsextremismus durch, die als „Sternmarsch für Demokratie und Toleranz“ organisiert wurde. Die Aktivitäten in der Stadt hatten bereits überregional ein solches Echo gefunden, dass es gelang, alle örtlichen Bundestagsabgeordneten als Redner für die Kundgebung am 12.01.2013 zu gewinnen.

3.       Bewertung

Durch die Vorgänge um die Jahreswende 2012/13 war für die Stadt Bergkamen eine neue (negative) Qualität entstanden. Es musste nun damit gerechnet werden, dass künftig immer wieder neue Aktivitäten der rechtsextremen Szene entfaltet würden. So kann nicht ausgeschlossen werden, dass die bekannten umfangreichen polizeilichen Maßnahmen in den benachbarten Großstädten zu einer Verdrängung der Szene in die umliegenden Kommunen führen. Daher gilt es, die Menschen in dieser Stadt zu sensibilisieren und die Solidarität im Widerstand gegen Rechtsextremismus und Faschismus hochzuhalten. Das ganze stellt sich als Daueraufgabe für Politik und Verwaltung dar.

In diese Entwicklung hinein bzw. parallel dazu wurde die Debatte politisch erweitert.

Zum einen forderten politische Vertreter, nicht nur den Rechtsextremismus, sondern auch den Linksextremismus in die politische Arbeit mit einzubeziehen. Insoweit sei der bisherige Titel „Arbeitskreis gegen Rechts“ zu einschränkend.

Zum anderen war und ist nicht mehr zu übersehen, dass in Bund und Land ein religiöser Extremismus aufkommt, der mit dem Auftreten der sogenannten „Salafisten“ öffentlich geworden ist. Neben diesem religiösen Extremismus, der totalitäre und faschistoide Elemente hat, ist ein weiterer Extremismus zu beklagen. Zu nennen sind solche Bestrebungen bei bestimmten Gruppierungen von Zuwanderern. Besonders bekannt sind die „Grauen Wölfe“, die einen extremen türkischen Nationalismus pflegen und die nach Einschätzung der Verwaltung organisiert oder nicht organisiert auch in Bergkamen anzutreffen sind.

Vor diesem Hintergrund erscheint es nunmehr sinnvoll, die Arbeit für Demokratie, Toleranz und Freiheit nicht nur einschränkend am rechtsextremistischen Neonazitum festzumachen. Der Begriff der „Demokratie“ erfasst von seinem Inhalt her die positive Haltung zu Staat und Gesellschaft, wie sie im Grundgesetz beschrieben ist, und zugleich eine Ablehnung all dessen, was eben diese Demokratie in Frage stellt: Neonazitum, Faschismus, Linksextremismus, religiöser Totalitarismus, übersteigerter ethnischer Nationalismus.

Diese Einschätzung lässt es angemessen erscheinen, dem bisherigen Arbeitskreis gegen Rechts einen umfassenderen Auftrag zu erteilen und ihm einen dem Auftrag angemessene politische Legimitation durch einen Ratsbeschluss zu verleihen.

4.       Struktur und Arbeit des „Arbeitskreises Demokratie“

Mit der Umbenennung in „Arbeitskreis Demokratie“ wird demgemäß das Aufgabenfeld auf alle Formen des Extremismus erweitert. Die Mitglieder des Arbeitskreises sollten wie bisher Vertreter der gesellschaftlich relevanten Gruppen aus der Stadt Bergkamen sein. Hierzu ist keine Begrenzung in der Mitgliedschaft zu empfehlen. Der Arbeitskreis sollte offen sein für alle demokratischen Gruppierungen, die bereit sind, sich für Demokratie und Freiheit und gegen extremistische Bestrebungen einzusetzen.

Im Unterschied zu bisher wird vorgeschlagen, den Vorsitz und den stellvertretenden Vorsitz durch Stadtverordnete entsprechend der Wahlperiode des Rates wahrnehmen zu lassen, um dadurch den politischen Auftrag stärker hervorzuheben und gleichzeitig die Arbeit des Arbeitskreises enger an den Rat anzubinden. Demgemäß würde eine mit der Beschlussfassung über diese Ratsvorlage einhergehende Wahl bis zur nächsten Kommunalwahl Gültigkeit haben.

Die Geschäftsführung sollte wie bisher durch den Leiter der „Infostelle Rechtsextremismus“ wahrgenommen werden, damit der Arbeitskreis geschäftsmäßig arbeitsfähig bleibt.

Die Verwaltung schlägt letztlich vor, dass der Arbeitskreis zweimal im Jahr sowie bei Bedarf tagen soll. Das entspricht in etwa dem Rhythmus, in dem auch der bisherige Arbeitskreis gegen Rechts einberufen wurde. Zugleich sollte aufgrund der Anbindung an den Rat einmal jährlich eine entsprechende Berichterstattung erfolgen.

Zusammenfassend lässt sich aus der Sicht der Verwaltung festhalten, dass die Namensgebung des neuen Arbeitskreises und die erweiterte Aufgabenstellung sowie die Legitimation durch den Rat der Stadt Bergkamen wichtige Schritte darstellen. So bekommt die politische Arbeit für die Demokratie parteiübergreifend und für die gesamte Bevölkerung der Stadt einen besonders hohen Stellenwert.

 

Bestandteile dieser Vorlage sind:

1. Das Deckblatt

2. Der Beschlussvorschlag und die Sachdarstellung

 

Der Bürgermeister

In Vertretung

 

 

 

Wenske

Beigeordneter