Betreff
Neuausrichtung der Bergkamener Integrationsarbeit
Vorlage
10/1036
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag:

Der Rat der Stadt Bergkamen nimmt die Vorlage zur Kenntnis und beauftragt die Verwaltung, weitere Konzepte mit dem Schwerpunkt „Bildung und Erziehung“ zu entwickeln, die sich an der unterstützungsbedürftigen Bevölkerung orientieren und in denen die bisherige Integrationsarbeit aufgeht.

 

Sachdarstellung:

 

1.      Vorbemerkung

50 Jahre Zuwanderung nach Deutschland hat ihre Spuren hinterlassen. Das spiegelt sich in unterschiedlicher Ausprägung in jeder kommunalen Gemeinschaft wider, so auch in Bergkamen. In dieser Stadt leben geschätzt 12.500 Menschen (ca. 25 %) aus anderen Kulturkreisen, viele sogar seit Jahrzehnten.

Inzwischen wächst in vielen Familien die vierte Generation heran, deren beide Elternteile in Deutschland geboren wurden. Für diese Generation greift schon nicht mehr die gesetzliche Definition als „Menschen mit Migrationshintergrund“ (vergl. § 4 des Teilhabe- und Integrationsgesetzes NRW, s. Anlage 4).

Die Spuren der Zuwanderung zeigen sich im Stadtbild, in Wohngebieten, in Schulen und Kindergärten, gewissermaßen überall im täglichen Leben. Die bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte unumkehrbar in eine multikulturelle, multiethnische, multireligiöse Gesellschaft gewandelt. Dadurch ist die Existenz von Menschen aus anderen Kulturkreisen selbst zu einer Alltäglichkeit geworden. Das ermöglicht einen Sichtwechsel, der die Begriffe „Aufnahmegesellschaft“ und „Zuwanderergesellschaft“ überwindet. Das Neue ist bereits real. Das bedeutet aber auch, dass die zugewanderten Menschen nicht mehr als zu „bewirtschaftende“ Gruppe angesehen werden sollten, sondern jedermann als Glied der nunmehr bunten kommunalen Gemeinschaft sein Schicksal selbst bestimmen mag.

Diese Entwicklung veranlasst die Verwaltung zu einer Neubewertung der Integrationsarbeit. Um hier gedanklich und politisch den Bogen zu schlagen vom Bestand der bisherigen Integrationsaktivitäten bis hin zu einer zukunftsorientierten Bildungsförderung, wird der Rat der Stadt Bergkamen um Kenntnisnahme und Zustimmung zu dieser Vorlage gebeten.


2.      Bestandslage

a)      Das Arbeitspapier zum Integrationskonzept (Phase 1)

Mitte 2010 beschloss der Rat der Stadt Bergkamen ein Arbeitspapier zum Integrationskonzept mit dem Titel „Wege zum friedlichen Miteinander“. Parallel dazu war ein Bildungskonzept zur „präventiven und integrativen Förderung von Kindern im Alter von 0 – 6 Jahren“ unter Federführung des Jugendamtes und der Stadtbibliothek entwickelt worden. Dieses Bildungskonzept war ebenfalls Gegenstand eines Ratsbeschlusses. Mit der Vorlage und der Beschlussfassung zu diesen beiden Konzeptpapieren wurde ein Klärungsprozess abgeschlossen, der als „Phase 1“ bezeichnet wird.

Während für das Arbeitspapier Integrationskonzept mit den Handlungsfeldern 1 (Erziehung und Bildung) und 5 (Interkulturelle Kulturarbeit) eine zweite Phase gestartet wurde, um umsetzungsfähige Maßnahmen zu konkretisieren, konnte das Bildungskonzept in Teilen sofort bearbeitet werden, insbesondere durch unterschiedliche Projekte in der Stadtbibliothek, die teilweise durch Landesmittel gefördert wurden.

 

 

 

b)     Der Arbeits- und Diskussionsprozess (Phase 2)

Die Phase 2 zur Weiterentwicklung des Arbeitspapiers Integrationskonzept war geprägt durch die Einrichtung von ursprünglich drei, später zwei Arbeitskreisen und durch die Beteiligung verschiedener Stellen, wie Jugendamt, Stadtbibliothek, RAA, AWO-Migrationsdienste und Integrationsbüro.

In der fachlichen Diskussion wurden Ergebnisse entwickelt, die in einer Übersicht vom 08.11.2011 zusammengeführt und dem Integrationsrat vorgestellt wurden.

- Anlage 1 -

Die fachlichen Erkenntnisse förderten allerdings auch die Einsicht zu Tage, dass einiges von dem, was wünschenswert ist, durch bereits laufende Angebote abgedeckt ist. Hinzu kam für etwaige weitere Maßnahmen die Frage einer ungeklärten Finanzierung angesichts der laufenden Haushaltssicherung.

Im Verlaufe der weiteren Erörterung waren Verfahrensfragen, Zuordnungsfragen und organisatorische Aspekte zu klären. Insbesondere wurde klar, dass künftig jede neue Maßnahme einer qualifizierten Wirksamkeitskontrolle (Evaluation) unterworfen werden müsse, vorzugsweise mit wissenschaftlicher Begleitung durch eine Universität. Dazu gab es bereits Sondierungsgespräche mit der Fachhochschule Dortmund. Ferner stellte sich durch die vorliegenden Informationen auch heraus, dass eine Bestands- und Bedarfserhebung aktualisiert werden müsse. Um den gesamten Komplex steuern zu können, war daran gedacht, eine spezielle Koordinierungsstelle einzurichten, die naturgemäß im Integrationsbüro anzusiedeln wäre. Zu diesen Überlegungen verhält sich eine Übersicht vom 09.05.2012 mit der Bezeichnung „Integrationskonzept Weiterentwicklung“.

- Anlage 2 -

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Landesregierung das Projekt „Kein Kind zurücklassen“ initiiert, sodass dies ebenfalls einfließen sollte.

c)      Vorhandene Strukturen und Angebote

Aufgrund des festgestellten Aktualisierungsbedarfs wurde erneut recherchiert, um die gegenwärtigen Angebote abbilden zu können. Eine Übersicht über die Angebote der unterschiedlichen Träger und der Stadt Bergkamen mit Datum vom 11.10.2012 ist beigefügt.

- Anlage 3 -

Darin zeigt sich, dass eine Vielzahl von Angeboten für diverse Zielgruppen vorhanden sind, darunter traditionell auch viele städtische.

d)     Änderung von Rahmenbedingungen (Teilhabe- und Integrationsgesetz u. a.)

Parallel zu den kommunalen Bemühungen änderten sich zudem die Rahmenbedingungen. Von besonderer Bedeutung für die Integrationsarbeit ist das neue „Gesetz zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration in Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung anderer gesetzlicher Vorschriften“ (Teilhabe- und Integrationsgesetz NRW) vom 24.02.2012, das beigefügt zur Kenntnis gegeben wird.

- Anlage 4 -

Im Zusammenhang mit diesem Gesetz hat weiterhin die Bezirksregierung im März 2012 ein Integrationskonzept vorgelegt. Es trägt die Bezeichnung „Vielfalt in der Region“. Auch der Kreis Unna ist nicht untätig geblieben und hat Mitte 2012 ein Integrationskonzept entwickelt, das auf der Grundlage des neuen Gesetzes Verfahren und Inhalte zur Umwandlung der RAA in ein Kommunales Integrationszentrum beschreibt (KiZ).

Die zitierten Regelungen verlangen eine Bewertung mit der Frage, ob die Inhalte für die kommunale Integrationsarbeit berücksichtigt werden können.

-          Das Teilhabe- und Integrationsgesetz beschreibt allgemeine politische Zielsetzungen, die überwiegend als selbstverständlich einzuschätzen sind.

Bestimmte Regelungen sind naturgemäß migrationsspezifisch und fordern die Adressaten des Gesetzes, also die Rechtsanwender, auf, besonderen Aspekten der Menschen mit Migrationshintergrund Rechnung zu tragen, wie z. B. § 1 Nr. 4 und 6, § 2 Abs. 4, § 5 und § 8 Abs. 1. Diese Regelungen können durchaus auch kritisch gesehen werden.

Aus § 1 Nr. 6 ergibt sich beispielsweise, dass die das Gesetz anwendenden Stellen gehalten sind „die Organisationen der Menschen mit Migrationshintergrund in demokratische Strukturen und Prozesse einzubinden und zu fördern…“. Auf die kommunale Arbeit bezogen stellt sich die Frage, wie man sich derartige Prozesse vorstellen soll, etwa beim Umgang mit islamistischen Gruppierungen.

In § 2 Abs. 4 ist zu lesen: „Integrationsspezifische Entscheidungen und konzeptionelle Entwicklungen sollen den verschiedenen Lebenssituationen der Menschen mit Mitgrationshintergrund Rechnung tragen.“ Was bedeutet das konkret und praktisch für die örtliche Arbeit? Was sind intergrationsspezifische Entscheidungen und wer trifft sie? Was ist mit den Lebenssituationen gemeint? Wer soll diesen Rechnung tragen? Es dürfte schwierig sein, derartige gesetzliche Vorstellungen in der konkreten Arbeit zu erfassen oder zu berücksichtigen.

§ 3 Abs. 2 formuliert: „Art und Umfang der Unterstützung der Teilhabe und Integration berücksichtigen insbesondere den Bedarf der Menschen mit Migrationshintergrund…“. Wer definiert den Bedarf – die Betroffenen selbst? Welche Stelle soll diesen „Bedarf“ dann bei der Arbeit berücksichtigen, was wird das alles bewirken? Auch hier also eine unklare Lage.

Aus diesen und einer Vielzahl weiterer Regelungen leuchtet indes die Intention des Gesetzgebers durch, dass Menschen mit Migrationshintergrund „Benachteiligte“, von der Aufnahmegesellschaft nicht Angenommene sind, die einer besonderen Zuwendung in allen Lebenslagen bedürfen, von der Geburt über das Berufsleben bis zum Tod. Zugleich sind die Stellen, die das Gesetz anwenden sollen, allgemein gesagt gehalten, die gesetzlich unterstellte Benachteiligung zu beseitigen. Dies ist genau die (problematische) Sichtweise, die die in der Vorbemerkung erwähnte „Bewirtschaftung“ einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe durch staatliche und andere Träger auslösen soll. Dabei erwähnt das Gesetz Menschen mit Migrationshintergrund allgemein und pauschalierend. Es fehlt an der Erkenntnis, dass die Lebenswirklichkeit längst einen gesellschaftlichen Status hervorgebracht hat, der es nicht mehr erlaubt, von DEN Menschen mit Migrationshintergrund in dieser verallgemeinernden Form zu sprechen.

Völlig außer Betracht bleibt im Gesetz die Sicht der „anderen Seite“. Wollen die (im gesetzlichen Sinne) Menschen mit Migrationshintergrund kollektiv oder individuell oder mehrheitlich überhaupt eine Integrationsarbeit mit ihnen als Zielgruppe? Die Erfahrungen vor Ort sprechen eher dagegen. Sehr viele Zugewanderte wollen sich nicht mehr einer Gruppe zugeordnet wissen, der man etwas angedeihen lassen kann. Sie wollen einfach ihr Leben in einer vielschichtigen Gesellschaft wahrnehmen und erwarten, dass Staat und Bürgerschaft sie so respektieren wie sie sind.

Im Gesetz spielt auch der eigentlich zentrale Punkt für eine gelingende Integration praktisch keine Rolle, nämlich die Eigenanstrengung der Menschen mit Migrationshintergrund einschließlich einer positiven Grundhaltung und aktiven Hinwendung zu Staat und Gesellschaft. Lediglich in § 2 Abs. 2 und 3 wird dieser Aspekt gestreift, allerdings nur auf Anerkennung der Grundwerte und Engagement beim Spracherwerb beschränkt. Solange dieser grundlegende Aspekt weitgehend ausgeblendet wird, steht der Erfolg aller einseitigen administrativen Bemühungen in Frage.

Zusammengefasst lässt sich angesichts einer fragwürdigen und letztlich überholten Grundkonzeption aus dem neuen Gesetz wenig an Substantiellem für die kommunale Integrationsarbeit ableiten.

-          Eine Ausnahme zu dieser Einschätzung bilden die Regelungen in § 7 des Teilhabe- und Integrationsgesetzes NRW sowie das Integrationskonzept des Kreises Unna. Dieses vom Kreistag beschlossene Konzept war erforderlich, um die Umwandlung der RAA in das gesetzlich definierte „Kommunale Integrationszentrum“ (KIZ) zu ermöglichen. Die Überleitung ist inzwischen erfolgt, der Kreis hat die Einrichtung KIKU, Kommunales Integrationszentrum Kreis Unna genannt. Das Kreiskonzept liegt an.

- Anlage 5 -
 
Die Besonderheit besteht darin, dass die Kommunalen Integrationszentren in § 7 des Gesetzes mit Aufgaben versehen sind, die die Integrationsarbeit im Bildungsbereich fördern können. Es geht dabei darum, die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu verbessern. Dabei treten die Kommunalen Integrationszentren als Fachstellen auf, die die Multiplikatoren in Kindertageseinrichtungen, Schulen usw. mit dem notwendigen Sachwissen unterstützen können. Das KIZ hat insoweit auch eine steuernde und koordinierende Funktion.

Die Aufgabenstellung für die kommunalen Integrationszentren und die fachliche Ausstattung mit dem Schwerpunkt „Bildung für Kinder und Jugendliche“ liegt auf der Linie der Zielsetzung für die Stadt Bergkamen. Sie kann daher ausdrücklich begrüßt werden.

-          Das Integrationskonzept der Bezirksregierung bedarf an dieser Stelle keiner vertieften Erörterung, weil die kommunale Arbeit nicht unmittelbar betroffen ist.

e)     Klassische Integrationsarbeit im Lichte gesellschaftlicher Prozesse

Neben den internen Debatten und einer administrativen Änderung des Arbeitsrahmens sind bereits angesprochene gesellschaftliche Prozesse zu registrieren, die die Integrationsarbeit inzwischen in einem anderen Lichte erscheinen lassen.

Die „klassische“ Integrationsarbeit geht davon aus, dass Zugewanderte nach wie vor wegen tatsächlicher oder unterstellter Defizite staatliche bzw. gesellschaftliche Unterstützung benötigen. Das wird, wie gezeigt, in der Grundkonzeption des Teilhabe- und Integrationskonzeptes NRW besonders deutlich.

Der Staat sieht sich einseitig in der Verantwortung für eine gelingende Integration. Förderprogramme sind im Allgemeinen darauf zugeschnitten. Es ist in den letzten 20 bis 30 Jahren eine regelrechte „Förderindustrie“ entstanden, in deren Maßnahmen vermutlich hunderte von Millionen Euro aufgewandt wurden. Konkrete Ergebnisse im Sinne einer Verbesserung der Integrationslage können kaum festgestellt werden. Verwendungsnachweise ersetzen nach wie vor die Wirksamkeitsprüfung.

Im Gegensatz zu den ursprünglichen Erwartungen kann heute zum Beispiel festgestellt werden, dass die schulischen Lernerfolge von Migrantenkindern auf niedrigem Niveau verharren, dass Ausbildungs- und Arbeitsmarkt relativ schwer zugänglich für Migranten sind, dass ein Teil der türkischen Zuwanderungsgemeinschaft verstärkt desintegrative nationale und religiöse Besonderheiten pflegt, dass der Islam durch die laufende Debatte im säkularen Staat einen völlig unangemessenen Stellenwert erlangt hat und dass schließlich in Berlin unter Führung des Innenministeriums in diesen Tagen sogar eine richtungsweisende Konferenz zur „Muslimfeindlichkeit in Deutschland“ stattfindet.

Parallel hierzu laufen die demografischen Prozesse, durch die der Bevölkerungsanteil der Menschen aus den nicht oder schlecht integrierten Gruppen weiter zunimmt. In Kindergärten und Schulen zeigt sich dies zahlenmäßig in besonderem Maße.

Dem gegenüber steht eine steigende Anzahl von Menschen mit Migrationshintergrund, die eine gesellschaftliche und auch politische Teilhabe erreichen konnten. Es handelt sich indes noch um eine Minderheit. Ihr Vorhandensein erlaubt eher einen Schluss im Sinne von Regel und Ausnahme: wer die innere Bereitschaft hat und sich selbst bemüht, der hat eine gute Chance auf eine erfolgreiche Eingliederung in das gesellschaftliche Gefüge.  

In der Bilanz aber hat die „klassische“ Integrationsarbeit nicht den Erfolg gebracht, der mit ihrem Zweck verbunden war. Die Gesellschaft ist in diesem Punkte nicht weiter als vor 20 Jahren. Es fehlte und fehlt an einem Reiseziel und an einem Reiseweg. Vor allem fehlt es an der Vision, wie sich die Gesellschaft in 20 – 30 Jahren verändert haben wird und ob die voraussichtliche Entwicklung politisch gewollt ist oder nicht. Erst daraus ließen sich seriöse Steuerungsmaßnahmen ableiten.


 

 

3.      Neuorientierung

Ausgehend von den vorherigen Einschätzungen sollte die „klassische“ Integrationsarbeit eingeschränkt oder nicht weiter verfolgt werden. Diese lässt sich anschaulich charakterisieren, indem man die Aufnahmegesellschaft als aktiven Teil auf der einen Seite sieht und die (heterogene) Zuwanderergesellschaft trotz all ihrer Facetten als zu bearbeitenden Block auf der anderen Seite, also als Gruppe der Aufzunehmenden, ganz entsprechend der Sichtweise des Teilhabe- und Integrationsgesetzes NRW.

- Anlage 6 -

Tatsächlich haben die realen Lebensverhältnisse und auch das Bewusstsein der verschiedenen Gruppen das herkömmliche Bild in den zurückliegenden Jahren überholt.

In der Realität, gerade auch in der kommunalen Wirklichkeit, leben die Menschen unterschiedlicher Herkunft in einer bunten Vielfalt nebeneinander, manchmal auch miteinander. Die vierte Zuwanderergeneration drängt nach. Die Begegnung mit dem einstmals „Fremden“ ist zur Alltäglichkeit geworden, in Kindergarten und Schule, im Betrieb, im Geschäft und auf der Straße.

Es macht keinen Sinn mehr, Menschen nach Herkunft zu kategorisieren und Schlussfolgerungen für den Umgang daraus zu ziehen. Es hat auch jeden Zweck verloren, solche Menschen aus der (überholten) Sicht der Aufnahmegesellschaft etwa als Menschen mit Migrationshintergrund zu definieren, weil dies mit der Zuordnung von Eigenschaften verbunden ist, die das Anderssein markieren.

Die bisherige Handhabung führt bis hin zu einem „positiven Rassismus“ (Beispiel: Der Lehrer sagt zur in Deutschland geborenen Schülerin der 12. Klasse, Leistungskurs Deutsch: “Dein Opa kommt aus Anatolien, dafür sprichst du aber wirklich gut deutsch!“). Das heißt nicht, dass es im Alltäglichen keine Konflikte gäbe. Diese werden aber nicht überwunden, wenn die handelnden Personen immer wieder auf ihre Herkunft reduziert werden.

Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass die allermeisten Menschen aus den Familien der Zugewanderten in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben, die sie nicht mehr verlassen werden. Diese Menschen suchen für sich und ihre Kinder das Beste, wenn auch mit unterschiedlichen individuellen Möglichkeiten und Lebensentwürfen. Sie wollen auch keine Sonderbehandlung mehr wegen ihrer Herkunft, sondern am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilhaben. Über Extremisten, Islamisten, Salafisten, Neonazis und dergleichen braucht man an dieser Stelle nicht zu reden. Sie repräsentieren nicht den sogenannten Durchschnittsbürger.

Wir haben es aufgrund der seit 50 Jahren andauernden Zuwanderung in einem unumkehrbaren Prozess schlicht mit der Entstehung einer neuen pluralen Gesellschaft zu tun. Die alte deutsche Gesellschaft mit ihren relativ stabilen Werten gibt es nicht mehr. Durch die demografische Anteilsverschiebung wird das Neue in 10 bis 20 Jahren noch mehr Raum eingenommen haben.

In dieser historischen Phase sollte anerkannt werden, dass alle Menschen der kommunalen Gemeinschaft unterschiedliche Teile des Ganzen sind. Die Abgrenzung in Deutsche und Zugewanderte beginnt sich aufzulösen. Die Grenzen verlaufen inzwischen an anderer Stelle, z.B. zwischen gebildet und bildungsfern, Arbeit habend und arbeitslos, reich und arm, und zwar durch alle ethnischen Gruppen hindurch.

Genau hier soll die Neuorientierung ansetzen. Eine zukunftsfähige kommunale Integrationsarbeit muss sich an den übergreifenden sozialen Problemen orientieren und darf die Bemühungen nicht mehr an der Herkunft der Menschen festmachen. Angesichts der realen Verhältnisse, die oben beschrieben worden sind, und angesichts der realistischen Möglichkeiten einer kommunalen Integrationsarbeit muss ein Schwerpunkt gesetzt werden, durch den auch eine neue Zielgruppe erfasst wird. Die Verwaltung ist zu der Auffassung gelangt, dass ein solcher Schwerpunkt im Wesentlichen in der Förderung von Erziehung und Bildung für Kinder und Jugendliche liegen muss.

Die kommunale Gemeinschaft wird danach nicht mehr in Aufnahmegesellschaft und Zuwanderungsgesellschaft unterteilt. Vielmehr ist eine neue Grenze, die der „Bildungsarmut“ zu definieren, die gewissermaßen als Längsschnitt durch die ethnischen und sonstigen Gruppierungen läuft. Darüber verhält sich das Schaubild auf der beigefügten Anlage.

- Anlage 7 -

Dort wird deutlich, dass die Ressourcen von Politik und Verwaltung, Trägern usw. darauf gerichtet werden sollen, die Bildungssituation der Menschen zu verbessern, gleich welche Herkunft sie haben. Derartige Bemühungen beginnen selbstverständlich bei der Elternbildung, der frühkindlichen Erziehung, der Bildungsvermittlung in den Kindertagesstätten und laufen bis in den Schulbereich. Es wird darum gehen, einzelne Maßnahmen zu definieren, sie dauerhaft anzulegen, zu evaluieren und zu finanzieren. Auf diesem Wege soll dem jetzigen und künftigen Nachwuchs eine Verbesserung der individuellen Chancen vermittelt werden, um, anders als jetzt, im schulischen und beruflichen Bereich sowie perspektivisch im Rahmen einer gesellschaftlichen Teilhabe respektierte Mitglieder der Gemeinschaft sein zu können.

Das bedeutet,

Ÿ        dass der Integrationsbegriff sich nicht mehr nur an Menschen mit Migrationshintergrund orientiert,

Ÿ        dass die Aufgaben zur Unterstützung einer „Zielgruppe Bildungsförderung“ gemeinsam neu beschrieben werden müssen,

Ÿ        dass eine erweiterte Kooperation mit Integrationsbüro, Jugendamt, Kulturreferat, Trägern der Kindertagesstätten, Schulen und anderen Bildungsträgern zielorientiert eingeleitet wird,

Ÿ        dass ein auf Dauer angelegtes evaluierbares Fördersystem unter städtischer Koordinierung angelegt wird.

Die bisherigen Bemühungen (siehe z. B. Anlage 3) mögen selbstverständlich weiterlaufen, bis sie ihren Zweck erfüllt haben oder in die neue Struktur eingegliedert sind.

 

 

Bestandteile dieser Vorlage sind:

1. Das Deckblatt

2. Der Beschlussvorschlag und die Sachdarstellung

3. 7 Anlagen

 

Der Bürgermeister

In Vertretung

 

 

 

Wenske

Beigeordneter

 

 

Amtsleiter

 

 

 

 

Vögeding

Sachbearbeiterin

 

 

 

 

Siebert